VERTRIEB THADDÄUS TROLL Maximilianstraße 30
– Eleonore Lindenberg – 70327 Stuttgart

Auszug aus dem 1976 im Belser Verlag, Stuttgart, erschienenen dreisprachigen Bildband „STUTTGART“ mit Fotos von Siegfried Hirmer

Die bäuerliche Stadt

Noch im letzten Jahrhundert (19.Jh.) war Stuttgart die Hauptstadt eines Landes, das vornehmlich von Bauern, Weingärtnern und Handwerkern besiedelt war… Man braucht in der Ahnenreihe höchstens drei oder vier Generationen zurückzugehen und stößt auf einen Bauern. Die Stadt verleugnet ihre ländlichen Wurzeln nicht. Denn mancher Bauer schickte wenigstens einen seiner Buben, um ihm den Zugang zu den „besseren Ständen“ zu ermöglichen, auf eine der vielen ländlichen Lateinschulen, damit er Lehrer oder Buchhalter werden könne. Diese in Altwürttemberg besonders fruchtbaren Stände nahmen dann alle Entbehrungen auf sich, um möglichst viele Söhne studieren zu lassen. Das Bauerntum war ein kräftiges Reservoir für den breiten Stuttgarter Mittelstand… Der praktische Sinn, die Bedächtigkeit, die Sparsamkeit, die Skepsis gegen brotlose Künste, das Puritanertum, die Nüchternheit und Solidität des Stuttgarters sind bäuerliches Erbgut.
Weniger die Tatsache, daß Stuttgart rein ländliche Gemeinden wie Uhlbach, Rotenberg, Untertürkheim, Plieningen und Hofen impliziert hat, als die Abneigung gegen Verschwendung und Repräsentation erscheinen mir in Stuttgart bäuerlich. Es ist typisch, daß sich diese Stadt mit ihrer Hanglage für üppige Treppenbauten, wie sie uns der Barock hinterlassen hat, geradezu anbietet. In Stuttgart gibt es nur ein paar verkorkste Ansätze dazu. Dafür ist die Stadt durchzogen von Stäffele, die anmutig und bescheiden an ausgebaute Weinbergstaffeln erinnern. Auch Repräsentanten der Stuttgarter Kultur verhehlen in ihrer Erscheinung, ihrem Charakter und ihrem Wesen den ländlichen Ahn nicht. Er gibt ihnen etwas Knitzes, Bauernschlaues, Reserviertes. Sie reden ungern, aber wenn sie das Maul auftun, registriert man neben dem schwäbischen Tonfall die Tatsache, daß sie etwas zu sagen haben.