Vortrag Wolfgang Zwinz zu „900 Jahre Hofen“

Wie alt ist Hofen?

„Ersterwähnungen“ haben es in sich. Wie im Sport, wo es um „schneller, höher, weiter“ geht, scheint auch hier ein gewisser Wettstreit zu herrschen. „Je älter, je besser, je interessanter ist der Ort.“

Bei der sogenannten „Ersterwähnung“ geht es um den ältesten Nachweis eines Ortes in der schriftlichen Überlieferung. Von dieser „urkundlichen Erstnennung“ geht jedenfalls eine ganz besondere Faszination aus. Der dabei zu Grunde gelegte Urkundenbegriff ist indessen oftmals bis zum Äußersten ausgedehnt. Daher ist der Begriff „urkundlich“ oftmals einfach als Synonym für „schriftlich“ zu verstehen, und „Urkunde“ als Bezeichnung für ein in Schriftform vorliegendes Zeugnis aus dem Mittelalter.

Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden. Doch kann eine fachlich korrekte Untersuchung nicht einfach außer Acht lassen, welche Art von „Urkunde“ jeweils vorliegt, in welchem Kontext sie entstanden ist und welche Absichten mit ihrer Niederschrift verbunden waren. Gerade im Zusammenhang mit Ortsjubiläen ist leider allzu oft ein geradezu bedenkenloser Umgang mit den Quellen zu konstatieren. Mit kühnen, gelegentlich wagemutigen Interpretationen wird den Dokumenten das entnommen,was man – sozusagen zum höheren Ruhme seines Heimatortes – darin lesen möchte.

Für die Frage: Wie alt ist Hofen und mit welchen Dokumenten lässt sich das Alter belegen, schauen wir uns das älteste uns bekannte Dokument den „Codex Hirsaugiensis“ (CH) genauer an.

Entstehung, Aufgabe und Ziel des CH:
Das Kloster Hirsau erhielt im ausgehenden 11. Jahrhundert unter den Äbten Wilhelm, Gebhard von Urach und Bruno von Beutelsbach bis etwa 1120 große Schenkungen. Abt Wilhelm, einer der berühmtesten Äbte des Klosters Hirsau (Tod 1091), kümmerte sich um die Verwaltung des gewaltig anschwellenden Grund- und Kirchenbesitzes seiner Abtei. Allem Anschein nach war er es, der die in Bayern verbreitete Form des Traditions- oder Schenkungsbuchs in den deutschen Südwesten mitgebracht hat. Die Führung dieser besonderen Bücher ist fast ausschließlich aus hirsauisch reformierten Klöstern bekannt.

Mit dem Stichwort „Traditionsbuch“ sind wir beim Codex Hirsaugiensis angekommen. Man darf dieses Buch als eine der wichtigsten Quellen für das ausgehende 11. und 12. Jahrhundert im deutschen Südwesten bezeichnen – trotz einer nicht unproblematischen Überlieferungsform. Der CH wurde erst um das Jahr 1500 erstellt. Also rund 400 Jahre nach den beschriebenen Ereignissen. In Teil 4 sind hunderte von Schenkungen oder andere Gütergeschäfte aufgeführt, an denen das Kloster Hirsau als Empfänger oder Tausch- bzw. Kaufpartner beteiligt war.

Und in eben diesem vierten Teil des Codex findet sich die Nennung eines Ortes mit dem Namen Hofen.

Wie vertrauenswürdig sind diese Angaben? Der Codex Hirsaugiensis wurde schließlich erst um das Jahr 1500 geschrieben. Wir wissen heute, dass die Überlieferung weitestgehend authentisch, der überkommene Text zuverlässig ist. Diese gesicherte Erkenntnis verdanken wir der parallelen bzw. korrespondierenden Überlieferung einzelner Aufzeichnungen des Codex in „originalen“ hochmittelalterlichen Quellen wie dem Reichenbacher Schenkungsbuch, vor allem aber dem Fund von Fragmenten eines Traditionsbuch-Vorläufers aus Hirsau selbst.

Es gilt als sicher, dass mit dem Eintrag in den CH das heutige Stuttgart- Hofen gemeint ist. Somit ist dieser Eintrag die erste schriftliche Nennung von unserem Hofen.

Wir müssen, was den Sprachgebrauch angeht, deshalb zukünftig nicht von der ersten urkundlichen Erwähnung Hofens in CH sprechen, sondern von der ersten schriftlichen Nennung. (Der CH war ein Schenkungsbuch, kein Urkundenbuch.) Urkunden wurden mit Datum, Siegel, Unterschrift, Zeugen …ausgestellt. Kommen wir zur entscheidenden Frage: Können wir anhand des Eintrags in den CH das Alter von Hofen ermitteln bzw. welche Frage muss beantwortet werden, um einen Zeitraum der ersten schriftlichen Nennung angeben zu können.

Wenn ein Sweneger mit Zustimmung seines Herrn (Konrad von Wirtemberg) die Schenkung an das Kloster gemacht hat, dann muss auch ein „Konrad von Wirtemberg“ zum Zeitpunkt der Schenkung gelebt haben.

Dies würde bedeuten, dass wir mit den Lebensdaten des Konrad von Wirtemberg den Zeitraum der Schenkung eingrenzen und vielleicht sogar bestimmen können.

Auf der Suche nach Konrad von Wirtemberg habe ich in zahlreichen teils historischen Büchern recherchiert. Mir ist dabei aufgefallen, dass viele Autoren voneinander abgeschrieben und oft auf eine Quellenangabe verzichtet haben. Ich habe mich daher entschlossen, für die Recherche den aktuellen Stand der Forschung zu nutzen.

Nach meinem Kenntnisstand ist dieser in dem Buch „Das Haus Württemberg“, ein biographisches Lexikon, zusammengefasst. Herausgegeben wurde diese im Kohlhammer Verlag erschienene Buch von dem Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Eberhard-Karl-Universität Tübingen. Dieter Merten, Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Freiburg schreibt hier auf Seite 9:

Konrad (I.)
Konrad ist für den Zeitraum 1081 bis 1110 bezeugt. Er ist der mutmaßliche Erbauer, gewiss aber der Vollender der Burg Württemberg, nach der er zubenannt wurde. Da die Burgkapelle 1083 geweiht wurde, scheint die Burg auch um diese Zeit der namensgebende Sitz des Konrads geworden zu sein. Sie trat neben oder ersetzte die Zubenennung nach Beutelsbach.

Weihestein der ehemaligen Burgkapelle Württemberg 1083

Im weiteren Verlauf heißt es … Konrad und seine Frau Werndrut, sein geistlicher Bruder Bruno und seine Schwester Luitgard … . Den Höhe- und Scheidepunkt Konrads Macht bildete die Wahl (seines Bruders) Bruno zum Abt von Hirsau 1105. Mit dieser Wahl konnte das Kloster die Unterstützung von Konrad gewinnen.

Werndrut

Werndrut wird als Ehefrau Konrads (I.) in einer gemeinsamen Schenkung an das Kloster Hirsau 1080 erwähnt. Sie hat ihren Mann, mit dem sie offenbar keine leiblichen Erben hatte, und ihren Schwager Bruno überlebt.

Bruno
Bruno … wandte sich wohl Anfang der 1080er Jahre dem Kloster Hirsau als Wohltäter zu und wird dort Mönch. Der Konvent wählte ihn 1105 zum Abt. Er starb am 23. März 1120 und wurde in Hirsau begraben.

Luitgart
Luitgart, eine Schwester Konrads (I.), wird als Wohltäterin Hirsaus genannt. Sie war mit einem in den Quellen unerwähnt gebliebenen Gatten verheiratet und hatte einen Sohn namens Konrad. Dieser jüngere Konrad erhielt Name und Besitz des Mutterbruders (Konrad I.).

Konrad (II.)
Konrad war der Sohn Luitgarts und eines unbekannten Vaters. Nach dem Tod des älteren Konrad (I.) von Wirtemberg und seines Oheims, dem Abt Bruno von Hirsau … löste Konrad die Bindung an das Kloster Hirsau. … zusammen mit seiner Frau Hadelwig ist er um 1110 als Wohltäter von Blaubeuren belegt. 1122 erfolgt eine weitere urkundliche Nennung über eine Schenkung zugunsten des Klosters St. Blasien.

Zusammenfassung:
Hofen wird im CH erstmalig schriftlich genannt. Konrad (I.) ist von 1081 bis 1110 urkundlich bezeugt. Der Edelfreie aus Beutelsbach nennt sich ab 1083 nach der Burg auf dem Wirtemberg. Auf Grund der räumlichen Nähe ist es gut vorstellbar, dass die Beutelsbacher (später die Wirtemberger) Grundbesitz in Hofen hatten. Konrad (II.) ist von 1110 bis 1122 urkundlich bezeugt. Wir haben also um das Jahr 1120 einen nachweisbaren Konrad (II) von Wirtemberg. Aber gab dieser auch die Zustimmung zur Schenkung?

Als sicher gelten auch die Daten des Bruno von Beutelsbach, ab 1105 Abt im Kloster Hirsau. Er starb am 23. März 1120 und wurde in Hirsau begraben.

Der Abt Bruno war also ein Bruder zu Konrad (I.) und Onkel (Oheim) zu Konrad (II.). Welcher Konrad seine Zustimmung zur Schenkung des im CH beschriebenen „Anwesen“ an das Kloster Hirsau gab lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Da aber der „Schenker“ und der „Beschenkte“ familiär sehr eng miteinander verbunden waren, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Schenkung zu Leb- und Amtszeit des Abts Bruno vollzogen wurde. Wir könnten dann den Zeitraum der ersten schriftlichen Nennung zwischen 1105 und 1120 ansetzen.

Eine Schenkung nach dem Tod von Abt Bruno, er starb am 23. März 1120, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass die Schenkung zum Amtsantritt von Abt Bruno also 1105 und somit zu Lebzeiten seines Bruders Konrad I stattgefunden hat. Dies wird aber reine Spekulation bleiben.

Ergebnis:

Die erste schriftliche Nennung von Hofen hat mit großer Wahrscheinlichkeit vor 1120 stattgefunden. Wenn im Jahr 2020 alle Vereine und Organisationen „900 Jahre Hofen“ feiern ist dies das letzte erklärbare Datum für die Schenkung. Die eigentliche Schenkung und damit Nennung, siehe oben, erfolgte vermutlich auf Grund der Zustimmung von Konrad (I.) im Jahre 1105.

Ob 1105 oder 1120 – wichtig ist dem Verfasser, dass Hofen ein historisches Ereignis zum Anlass nimmt und gemeinsam ein Jahr lang feiert. Dass die Bewohner Hofens und die Vereine zusammenwachsen, dass Freundschaften, dass ein Miteinander entsteht. Dass noch mehr von dem entsteht, was Hofen so liebens- und lebenswert macht.

Die erste urkundliche Erwähnung Hofens stammt vom 18. März 1289. Die Brüder Rafeno und Luithard, genannt von Hofen, Söhne Weiland Kunos von  Mühlhausen, verkaufen dem Spital in Esslingen 2 Pfund Heller Einkünfte von ihrem Hof bei ihrer Burg Hofen.

Hauptstaatsarchiv Stuttgart; Signatur C 3 Bü 961 Q 14

Wolfgang Zwinz