Am Freitagabend, den 15.3. hatte der Cannstatter Kulturverein Dudelsäckle zu seinem zweiten diesjährigen Konzert eingeladen. Auf dem Programm stand die Formation Chamuyando Bajito, Tango & Geschichten. Für die Instrumente waren die chilenische Pianistin Pody Tagle, der argentinische Gitarrist Gustavo Azamor und der aus Georgien stammende Percussionist Ika Melipariani verantwortlich. „ Frontman “ um es neuhochdeutsch auszudrücken, ist Diego Barral, der aber nicht nur singt, sondern seine Darbietung mit Rezitaten und Geschichten zum Tango bereichert. Schon nach den ersten paar gesprochenen Sätzen kam ich ins Grübeln. Woher kenne ich diese Stimme? Oder woran erinnert sie mich? Plötzlich fiel es mir wieder ein. Sie klang wie die Stimme von David Nathan, der deutschen Synchronstimme von Johnny Depp. Der spanische Akzent, diese Melancholie und das leidenschaftliche Timbre waren dieselben wie in dem Film „ Don Juan de Marco „ (USA 1995 ). Wenn Frauen lispeln, so gilt das für Naivität und einen begrenzten geistigen Horizont. Wird es aber von einem Mann in Kombination mit einem spanischen Akzent praktiziert, gilt es als erotisches Attribut eines Latin Lovers. Warum das so ist wäre bestimmt dankbares Thema einer logopädischen Doktorarbeit. Auf jeden Fall hatte es bei Diego Barral die gleiche Wirkung wie die von Johnny Depp im besagten Spielfilm. Aber nicht nur die Stimme, sondern auch die Themen, die er in seinen Geschichten behandelte erinnerten an diesen romantischen Liebesfilm. Ich zitiere Don Juan aus dem Film:“ Es gibt im Leben nur vier Fragen von Bedeutung.-Was ist heilig? – Woraus besteht der Geist? – Wofür lohnt es sich zu leben? – Wofür lohnt es sich zu sterben? – Die Antwort ist stets die gleiche: – „Nur für die Liebe“.  Die Themen von Diego Barrals Geschichten behandelten ebenfalls diese Fragen und auch er erreichte sein Publikum. Die Mitglieder des Dudelsäckles und sein Publikum gehören normalerweise der Generation Ü 50 an. Aber an diesem Freitag fiel mir eines sofort auf. Noch nie waren im Publikum so viele junge und attraktive Damen. Und wie sie den Geschichten und der Musik lauschten! Angespannte Körperhaltung, die rechte Handfläche auf die Brust gedrückt, die Wangen gerötet und, um es mit Wilhelm Busch zu sagen: Im feuchten Augen schwamm Gefühl.“

„Des wenn mers gewisst hät!!“ sagte der Schwabe in mir. Dann hätte ich vor vierzig Jahren doch einen Tanzkurs belegt. Neigungsfach Tango natürlich, wobei das Wort Neigung durchaus wortwörtlich zu nehmen ist.

Entstanden ist der Tango Ende des 19. Jahrhunderts in Buenos Aires und Montevideo, und galt zunächst als anstößig und verrucht, weil er hauptsächlich im verbotenen Milieu der Bordelle gespielt wurde. Mark Twain spottete einmal: Tango ist Geschlechtsverkehr in vertikaler Form.“ Aber bald etablierte sich der Tango als ernstzunehmende musikalische Stilrichtung. Erster großer Star war Carlos Gardel ( 1890-1935 ), der diese Musik vor allem in Paris salonfähig machte. Heute gehören Tangokompositionen zum Repertoire klassischer Pianisten und Gitarristen. Auch ich hatte mich mal an Roland Dyens ( 1955-2016 ) Tango en Skai versucht, musste aber bald erkennen, dass diese Komposition technisch viel zu anspruchsvoll ist, und nur professionellen Musikern vorbehalten bleibt. Aber wenn man`s kann, dann klingt es wie bei Pody Tagle, die das Programm mit einigen Solodarbietungen bereicherte. Eindrucksvoll bewies sie, wie man technisch anspruchsvolle Literatur mit Emotionen wie Leidenschaft, Melancholie und Schmerz verbindet. Ein weiterer musikalische Akzent wurde von Gustavo Azamor gesetzt. Durch seine Schirmmütze war er für Insider schon rein optisch sofort als Gitarrist erkennbar. ( In den letzten Jahren tragen Gitarristen auch bei Indoor Konzerten meist eine Schirmmütze ). Aber er überzeugte nicht nur mit seinem Dress Code, sondern verstand es auch durch sparsames aber feinfühliges melodisches Gitarrenspiel das Ensemblespiel zu komplementieren. Zum Schluss gab es noch ein weiteres Schmankerl. Ein Tanzpaar demonstrierte gekonnt, dass Tango tanzen zurecht eine anerkannte sportliche Disziplin ist. Cesar Luis Menotti, der ehemalige argentinische Trainer der Nationalmannschaft verglich gerne Fußball mit Tango. Diego Amando   Maradonna würde den Ball so führen, wie ein Tangotänzer seine Partnerin. So endete der gelungene Abend nach einigen musikalischen Zugaben auch noch mit beeindruckenden Dribblings eines Tanzpaars. Dann machte sich das Publikum auf den Heimweg. Die meisten im zumindest gefühlten Wiegeschritt.